ERASMUS+ Seminar vom 18. bis 22. März, 2024 in Lissabon und Setúbal, Portugal
Wir als Lehrkräfte-Team der CeFi Fachschule haben vom 18. März bis 22. März 2024 mit unserem Kooperationspartner, der Gesellschaft für Europabildung (GEB), eine Erasmus+ Bildungsreise nach Lissabon und Setúbal in Portugal unternommen.
Ziel des Seminars war es, Einblicke in das portugiesische Bildungssystem zu erhalten sowie Einrichtungen der frühkindlichen Bildung und Erziehung zu besuchen und mit dem deutschen Bildungssystem zu vergleichen. Wir haben Kindergärten, Schulen und einen Kinderbauernhof besucht, wurden im Rathaus von Setúbal empfangen und konnten gemeinsam einen musikalischen Fado-Abend genießen. Fachlich wurden wir von einer Projektleiterin vor Ort durch die jeweiligen Einrichtungen und Projekte betreut. Von der GEB und einem Kooperationspartner waren ebenfalls Vertretungen mit.
Insgesamt ist uns aufgefallen, dass in den besuchten Einrichtungen der Betreuungs- schlüssel mit einer Fachkraft und einer Hilfskraft auf 24 Kinder deutlich höher war als in Deutschland. Das Verständnis von Partizipation in den Einrichtungen war ebenfalls anders als es in Berlin vom Berliner Bildungsprogramm erwartet und in der Ausbildung vermittelt wird. Der Umgang mit den Kindern war herzlicher und als wir es aus deutschen Kindergärten kennen. Konzeptionell haben wir in einer Einrichtung Ansätze zur offenen Arbeit gesehen, wir haben altersgemischte Gruppen im Alter zwischen 3 und 6 Jahren gesehen, aber auch relativ altershomogene Gruppen in den Vorschulklassen (5 und 6 Jahre). Einigen von uns schienen die Gruppen im letzten Jahr vor der Einschulung von den Räumlichkeiten schon einen sehr schulischen Charakter zu haben.
Es folgen einige Eindrücke der Reise in Wort und Bild.
Dienstag, 19. März, Lissabon
Start des offiziellen Programms: Treffen vor dem Hotel nahe dem Parque Eduardo VII
Besuch eines Kindergartens
Olivais Sul Children’s Center, R. Cidade de Moçâmedes, 1800-104 Lisboa – Metro Olivais
Unten links:Speisesaal für alle Kindergruppen. Unten Mitte: Partizipative Gestaltung von Kinderrechten
(Geschichten anhören, spielen, sprechen, essen, laufen) und Pflichten der Kinder (sich entschuldigen,
um Erlaubnis bitten, nicht schreien, sich bedanken, usw.) mit selbstgemalten Situationen dazu.
Zu jedem Bild gibt es ein kleines Foto, das den Entstehungsprozess des Bildes dokumentiert und einen wertschätzenden Umgang mit den Bildungsprozessen der Kinder darstellt.
Vorstellung des portugiesischen Bildungssystems über eine Videoschaltung (Kindergarten und Krippe)
Das portugiesische Bildungssystem
Portugal war zwischen 1932 und 1974 faktisch eine Diktatur. Nach der sogenannten Nelkenrevolution im April 1974 ging aus den ersten freien Wahlen im folgenden Jahr eine sozialistische Regierung hervor. Zu diesem Zeitpunkt waren 45 Prozent der Bevölkerung Analphabeten. Die allgemeine Schulpflicht dauerte bis 1974 nur 4 Jahre und dann bis 1986 insgesamt 6 Jahre. Seit 1987 wurde die Dauer der allgemeinen Schulpflicht schrittweise auf bis zu 9-12 Jahren heutzutage erhöht (Mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland 1919 waren es damals bereits 8 Jahre Schulpflicht). Aktuell haben in Portugal 55 Prozent der Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren immer noch keinen Abschluss einer weiterführenden Schule (ein Schulbesuch nach der Grundschule).
Wie gut schneiden portugiesische Schüler:innen in internationalen Bildungsstudien ab?
Dies untersuchen die PISA-Studien (Programme for International Student Assessment) seit 2000, indem sie das Leistungsniveau von 15-jährigen Schüler:innen in verschiedenen Ländern der Welt in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften vergleicht. In der ersten Pisa Studie im Jahr 2000 rangierte Portugal am unteren Ende der Liste. Heute schneidet Portugal in der Gesamtbewertung zwar immer noch etwas schlechter als Deutschland ab, aber die Verbesserungen trotz der Eurokrise 2010 sind bemerkenswert.
Welche Entwicklungen im Bildungssystem könnten die positive Entwicklung von Portugal beeinflusst haben?
Bis 2017 gingen bis zu 30 Prozent der Schüler:innen auf private Schulen, die staatlich subventioniert wurden, aber auch zusätzlich Schulgeld verlangten. Um Bildungschancen-Gleichheit zu gewährleisten, reformierte die sozialistische Regierung 2017 das öffentliche Schulsystem. 2017 wurde die Hälfte der privaten (staatlich subventionierten) Schulen geschlossen. Etwa 10.000 Schüler:innen zogen zu öffentlichen Schulen um. Im Jahr 2020 wurden weitere 45 Millionen Euro an Subventionen für private Anbieter gestrichen. Im Jahr 2020 gingen nur noch 4 Prozent der Schüler:innen auf staatlich finanzierte Privatschulen, knapp 83 Prozent auf öffentliche Schulen und 13 Prozent auf private Einrichtungen, für die ausschließlich Eltern bezahlen. Portugal investierte 2019 insgesamt 4.9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und lag damit über dem EU-Schnitt (Deutschland 2019: 4,2 Prozent).
Im portugiesischen Kindergarten wird zwischen der Krippe (0-3 Jahre) und der Vorschule unterschieden (3-6 Jahre). Es gibt kein offizielles Bildungsprogramm oder vorgegebene Dokumentationsformen wie das Sprachlerntagebuch.
Die Vorschulbildung für Kinder unter drei Jahren wird durch das Ministerium für Arbeit, Solidarität und Soziale Sicherheit reguliert (Das war in Deutschland bis in die 60er Jahre auch der Fall). Eltern haben die Möglichkeit, zwischen Kindergärten (creches) oder Tagesmüttern (amas) zu wählen. Den Eltern entstehen für beide Betreuungsformen anteilig Kosten.
Für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren stehen öffentliche und private Vorschulen zur Verfügung. Diese sind allerdings nicht verpflichtend. Jedes Kind hat ab dem Alter von drei Jahren einen Anspruch auf 25 Stunden kostenlosen Vorschulunterricht pro Woche. Zeiten darüber hinaus müssen von den Eltern finanziert werden. Private Einrichtungen haben verschiedene Finanzierungsmodelle.
Zusätzliche Quellen zum Vortrag:
Hedermann, Jenny. Von der Eurokrise zum PISA-Erfolg: Das portugiesische Bildungssystem, 2024. Online: https://www.lehrer-news.de/blog-posts/von-der-eurokrise-zum-pisa-erfolg-das-portugiesische-bildungssystem Wandler, Reiner. Bildungssystem in Portugal: Lernen vom Pisa-Musterschüler, 2020. Online: https://taz.de/Bildungssystem-in-Portugal/!5734169/
Besuch eines Bildungs-Bauernhofs für Kinder
Olivais Bildungs-Bauernhof, Rua Cidade de Lobito, Olivais Sul, 1800-088 Lisboa
Tierdoktor-Puppe mit Schaf, frei laufende Hühner, Pfauen, Tauben; Lerngarten mit Haselnuss-Strauch
Austausch zu den Eindrücken der Bildungsarbeit, Gemüsegarten mit Beeten und Vogelscheuche
Abendessen mit traditioneller Fado-Musik im historisches Stadtzentrum
Alfama Viertel in der Nähe der São Jorge Burg, D ́el Rey Tavern, Largo do Chafariz de Dentro, 14, 1100-118 Lisbon.
Austausch innerhalb der Reisegruppe bei Fado-Musik in einem traditionellen Fado-Restaurant
Ausflug zur Escola Superior de Educação de Setúbal
Campus do IPS, Estefanilha 2914 – 504 Setúbal https://www.ese.ips.pt/
Einige von uns besichtigten die Gebäude der Pädagogischen Hochschule von Álvaro Siza
in Setúbal. Die schlichten, hellen Gebäude – umgeben von Korkeichen – unterscheiden sich stark von seinem Entwurf für Mietwohnungen am Schlesischen Tor in Berlin.
Hochschulgebäude in Setùbal und Wohnhaus und „Bonjour Tristesse“, Berlin von Álvaro Siza (Bild: Wikipedia)
Donnerstag, 21. März, Setúbal
Besuch der Grundschule GPI Projekt „Austausch Groß und Klein“
Praceta José Maria da Silva 4, 2900-302 Setúbal
Eingang zur Grundschule, Collagen zu Trachten und Menschen verschiedener Herkunftsländer und Kulturen
Fragerunde/Dialog zwischen Kindern und freiwilligen Seniorinnen und Senioren zum Alltag gestern und heute
Die Kinderbibliothek mit Computer-Arbeitsplätzen und einem vielfältigen Literaturangebot
Besuch des Laranjeiras Kindergarten
Rua Frei António das Chagas, 12, 2900-088 Setúbal
Öffentliches Schulnetzwerk (public preschool network), Vorstellung des Bücherei-Netzwerks Portugal
Margarida stellt ihre Arbeit in ihrer Vorschulklasse (5-6 Jahre) vor.
Die Erzieherin Margarida hat uns ihre selbst entwickelten Dokumentationsmethoden vorgestellt (Es gibt keine offiziellen Vorgaben). Hier zum Beispiel die Einschätzung der eigenen Kompetenzentwicklung durch die Kinder: “Ich habe gelernt, ich will lernen, ich bin gut in, ich wünsche mir, gefällt mir, gefällt mir nicht.” Die Kinder geben mit farbigen Pfeilen Rückmeldungen zu ihren eigenen Arbeiten (Ich habe alles selbst gemacht und es hat mir gefallen, es war schwierig, aber es hat mir Spaß gemacht, es hat mir nicht gefallen, aber es habe es versucht und geschafft, ich habe viel Hilfe gebraucht, ich muss mich verbessern).
Links: Selbstauswertung durch die Kinder über ihre Aktivitäten. Mitte: Dokumentation der geleisteten Tischdienste durch die Kinder. Rechts: Im Raum sind in den Ecken und Seiten jeweils thematisch verschiedene Spielbereiche.
Mappen für eigene, kreativen Arbeiten jedes Kindes, Gedenktafel/Gesprächsanlässe zum Thema “Sterben”
Links: Die Kinder der Vorschulklasse beschäftigen sich mit Seidenraupen und füttern diese mit Blättern von Maulbeerbäumen (NaWi und Umweltpädagogik). Rechts: Das Wetter wird von den Kindern an einer selbstgebastelten Wetterstation dokumentiert.